Arbeitslosengeld I und II in Deutschland: Anspruch, Berechnung und Dauer der Auszahlung
Der Artikel erklärt die Hilfen bei Arbeitslosigkeit. Er grenzt das ALG I (Versicherungsleistung, vom Lohn abhängig) klar vom Bürgergeld (steuerfinanzierte Grundsicherung) ab.

Der Verlust des Arbeitsplatzes gehört zu den größten finanziellen Unsicherheiten, denen Menschen in Deutschland begegnen können. Das soziale Sicherungssystem des Landes ist komplex, aber darauf ausgelegt, genau diese Phasen aufzufangen. Für viele Betroffene beginnt jedoch eine Zeit der Verwirrung: Was ist der Unterschied zwischen Arbeitslosengeld I und II? Und was ist das neue Bürgergeld?
Die Unsicherheit ist verständlich, insbesondere da eine wichtige Änderung stattgefunden hat: Das frühere Arbeitslosengeld II (oft als „Hartz IV“ bezeichnet) wurde vollständig durch das Bürgergeld ersetzt. Das System besteht nun aus zwei klar getrennten Säulen.
Das Arbeitslosengeld I (ALG I) ist eine Versicherungsleistung, die auf Ihren bisherigen Beiträgen basiert. Das Bürgergeld (als Nachfolger des ALG II) ist eine steuerfinanzierte Grundsicherung, die das Existenzminimum sichert, wenn kein oder nur ein geringes Einkommen vorhanden ist.
Das Verständnis dieser beiden Systeme, ihrer Voraussetzungen, der Berechnungslogik und der jeweiligen Bezugsdauer ist entscheidend. Nur so können Sie Ihre Ansprüche korrekt geltend machen und Ihre Finanzen in einer Übergangsphase stabilisieren.
Der fundamentale Unterschied: Versicherung vs. Grundsicherung
Um das deutsche Sozialsystem zu verstehen, muss man die grundlegend verschiedene Natur von Arbeitslosengeld I und Bürgergeld begreifen. Sie dienen unterschiedlichen Zwecken und werden aus unterschiedlichen Töpfen finanziert.
Arbeitslosengeld I (ALG I): Die Versicherungsleistung
Das ALG I ist eine Leistung der Arbeitslosenversicherung, die ein Zweig der deutschen Sozialversicherung ist. Jeder Arbeitnehmer, der sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, zahlt automatisch Beiträge in diese Versicherung ein. Im Gegenzug erwirbt man einen Anspruch auf Leistungen, ähnlich wie bei einer privaten Versicherung.
Der Kerngedanke ist der Einkommensersatz. Wenn Sie Ihren Arbeitsplatz verlieren, soll das ALG I einen erheblichen Teil Ihres letzten Nettoeinkommens ersetzen, damit Sie Ihren Lebensstandard zumindest vorübergehend halten können, während Sie eine neue Stelle suchen.
Bürgergeld (ehemals ALG II): Die Grundsicherung
Das Bürgergeld ist keine Versicherungsleistung. Es wird vollständig aus Steuermitteln finanziert und dient als staatliche Sozialleistung. Sein Zweck ist nicht der Ersatz eines früheren Einkommens, sondern die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums.
Anspruch auf Bürgergeld hat, wer zwar grundsätzlich arbeiten kann (erwerbsfähig ist), aber seinen Lebensunterhalt (und den seiner Familie) nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken kann. Dies kann auch der Fall sein, wenn das ALG I zu gering ist oder der Anspruch darauf ausgelaufen ist.
Wer ist zuständig? Agentur für Arbeit vs. Jobcenter
Aus dieser Trennung ergibt sich auch eine unterschiedliche Zuständigkeit. Diese Unterscheidung ist für Antragssteller von enormer praktischer Bedeutung.
Für das Arbeitslosengeld I ist die Bundesagentur für Arbeit (oft nur „Agentur für Arbeit“) zuständig. Hier melden Sie sich arbeitslos und stellen Ihren Antrag, da es sich um die Verwaltung der Versicherungsgelder handelt.
Für das Bürgergeld ist das Jobcenter zuständig. Dies sind gemeinsame Einrichtungen der Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit. Hier wird die „Hilfebedürftigkeit“ geprüft und die Grundsicherung verwaltet.
Das Arbeitslosengeld (ALG I): Die erste Säule der Absicherung
Für die meisten Arbeitnehmer in Deutschland ist das ALG I die erste und wichtigste Anlaufstelle nach einem Jobverlust. Es basiert auf dem Solidarprinzip der Versichertengemeinschaft.
Anspruchsvoraussetzungen für ALG I
Um ALG I zu erhalten, müssen mehrere Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein. Sie müssen…
- …sich arbeitslos gemeldet haben. Dies muss persönlich (oder online per Identitätsnachweis) bei der zuständigen Agentur für Arbeit geschehen, spätestens am ersten Tag ohne Beschäftigung.
- …arbeitsuchend gemeldet sein. Dies sollte bereits früher geschehen, sobald Sie von der Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses wissen (z.B. drei Monate vor Ablauf eines befristeten Vertrags).
- …die Anwartschaftszeit erfüllen. Dies ist die Kernbedingung. Sie müssen innerhalb einer Rahmenfrist von 30 Monaten (die letzten 2,5 Jahre) vor der Arbeitslosmeldung mindestens 12 Monate lang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Diese 12 Monate müssen nicht am Stück gewesen sein.
- …der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Sie müssen fähig und bereit sein, eine zumutbare Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche aufzunehmen und aktiv nach Arbeit suchen.
Berechnung der Höhe: Das pauschalierte Nettoentgelt
Die Höhe des ALG I ist direkt an Ihr früheres Einkommen gekoppelt. Die Berechnung ist präzise festgelegt:
- Leistungssatz 1: 67 % des letzten pauschalierten Nettoentgelts. Diesen Satz erhalten Sie, wenn Sie oder Ihr Ehepartner (bei gemeinsamer Veranlagung) mindestens ein Kind haben, für das ein Kinderfreibetrag besteht.
- Leistungssatz 2: 60 % des letzten pauschalierten Nettoentgelts. Dies gilt für alle anderen Anspruchsberechtigten.
Wichtig ist der Begriff „pauschaliertes Nettoentgelt“. Die Agentur für Arbeit nimmt Ihr Bruttoeinkommen aus dem Bemessungszeitraum (in der Regel die letzten 12 Monate) und zieht davon pauschale Beträge für Sozialabgaben und Lohnsteuer ab. Das Ergebnis ist oft sehr nah am tatsächlichen Nettoeinkommen, aber nicht immer identisch.
Dauer des Anspruchs: Alter und Beitragszeit entscheiden
Wie lange Sie ALG I erhalten, hängt davon ab, wie lange Sie in den letzten fünf Jahren Beiträge eingezahlt haben und wie alt Sie sind.
Für Personen unter 50 Jahren gilt:
- 12 Monate Beitragszeit (Minimum) führen zu 6 Monaten Anspruch.
- 16 Monate Beitragszeit führen zu 8 Monaten Anspruch.
- 20 Monate Beitragszeit führen zu 10 Monaten Anspruch.
- 24 Monate Beitragszeit (oder mehr) führen zu 12 Monaten Anspruch (Höchstdauer).
Für Personen über 50 Jahren verlängert sich die maximale Anspruchsdauer schrittweise. Dies soll älteren Arbeitnehmern, die es oft schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben, mehr Zeit für die Jobsuche geben:
- Ab 50 Jahren: Maximal 15 Monate ALG I (bei mind. 30 Monaten Beitragszeit).
- Ab 55 Jahren: Maximal 18 Monate ALG I (bei mind. 36 Monaten Beitragszeit).
- Ab 58 Jahren: Maximal 24 Monate ALG I (bei mind. 48 Monaten Beitragszeit).
Das Bürgergeld (ehemals ALG II): Die Grundsicherung des Existenzminimums

Das Bürgergeld ist die zweite Säule des Systems. Es greift, wenn das ALG I nicht ausreicht (sogenannte „Aufstocker“), der Anspruch auf ALG I ausgelaufen ist oder gar nicht erst bestand (z.B. bei vielen Selbstständigen nach Geschäftsaufgabe oder bei Berufseinsteigern).
Wer hat Anspruch auf Bürgergeld?
Anspruchsberechtigt ist, wer zwei Hauptkriterien erfüllt: Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit.
Erwerbsfähig bedeutet, dass Sie gesundheitlich in der Lage sind, mindestens drei Stunden pro Tag unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes zu arbeiten.
Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern kann. Hier kommt die sogenannte Bedarfsgemeinschaft (BG) ins Spiel. Das Jobcenter prüft nicht nur Ihr Einkommen, sondern auch das Ihres Partners oder Ihrer Partnerin, wenn Sie in einem Haushalt zusammenleben. Man geht davon aus, dass man füreinander einsteht.
Berechnung des Bürgergelds: Regelbedarf und Kosten der Unterkunft
Anders als das ALG I basiert das Bürgergeld nicht auf dem Voreinkommen, sondern auf dem tatsächlichen Bedarf. Dieser setzt sich aus zwei Hauptposten zusammen:
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- Der Regelbedarf: Dies ist ein pauschaler Betrag, der die Kosten für Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsstrom, Körperpflege und die soziale Teilhabe abdecken soll. Für Alleinstehende liegt dieser Satz beispielsweise bei über 560 Euro (Stand 2024/2025). Für Partner in einer BG und für Kinder gibt es angepasste Sätze.
- Die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU): Das Jobcenter übernimmt die tatsächlichen Kosten für Miete, Nebenkosten und Heizung, solange diese als „angemessen“ gelten. Was angemessen ist, definieren die Kommunen je nach lokalem Mietspiegel.
Eventuelles Einkommen (z.B. aus einem Minijob oder zu geringem ALG I) wird auf diesen Gesamtbedarf angerechnet, wobei es bestimmte Freibeträge gibt.
Der Umgang mit Vermögen: Was ist das Schonvermögen?
Ein zentraler Punkt beim Bürgergeld ist die Vermögensprüfung. Sie müssen erst Ihr eigenes Vermögen einsetzen, bevor der Staat hilft. Es gibt jedoch wichtige Schutzmechanismen.
Die Karenzzeit: Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs gilt eine „Karenzzeit“. In diesen 12 Monaten wird Vermögen nur berücksichtigt, wenn es „erheblich“ ist. Als erheblich gilt es ab 40.000 Euro für den Antragsteller und 15.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft.
Das Schonvermögen nach der Karenzzeit: Nach dem ersten Jahr sinken die Freibeträge. Das reguläre Schonvermögen beträgt dann 15.000 Euro pro Person in der Bedarfsgemeinschaft. Eine selbstgenutzte, angemessene Immobilie (Haus oder Wohnung) wird ebenfalls geschützt.
Wichtige Pflichten und die Konsequenzen (Sperrzeit und Leistungsminderungen)
Der Bezug von staatlichen Leistungen ist in Deutschland an klare Pflichten geknüpft. Wer diese ignoriert, muss mit empfindlichen finanziellen Nachteilen rechnen. Die Mechanismen sind bei ALG I und Bürgergeld unterschiedlich.
Die „Sperrzeit“ beim Arbeitslosengeld I
Eine Sperrzeit beim ALG I bedeutet, dass die Zahlung für einen bestimmten Zeitraum ruht. Der häufigste Grund (und der mit der längsten Sperre) ist die sogenannte „versicherungswidrige Arbeitsaufgabe“ – also, wenn Sie selbst kündigen oder durch Ihr Verhalten eine Kündigung provoziert haben, ohne dafür einen wichtigen Grund (z.B. gesundheitliche Gründe, Mobbing) nachweisen zu können.
Die Konsequenz ist hart: In der Regel 12 Wochen keine Zahlung. Diese Zeit wird auch nicht an das Ende angehängt, sondern verkürzt die Gesamtdauer Ihres Anspruchs. Wenn Sie 12 Monate Anspruch hatten, erhalten Sie nach einer Sperrzeit nur noch 9 Monate lang Geld.
Kürzere Sperrzeiten gibt es auch bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung oder der Ablehnung einer zumutbaren Arbeitsstelle.
Die „Leistungsminderungen“ beim Bürgergeld
Beim Bürgergeld spricht man nicht von Sperrzeiten, sondern von Leistungsminderungen (oft auch „Sanktionen“ genannt). Das System wurde mit dem Bürgergeld neu justiert und sieht einen Stufenplan vor.
Wenn Sie einer Mitwirkungspflicht (z.B. einem Termin im Jobcenter) nicht nachkommen, kann der Regelbedarf um 10 % für einen Monat gemindert werden.
Weitaus gravierender sind die Folgen bei der Ablehnung einer zumutbaren Arbeit. Hier kann es zu stärkeren, gestaffelten Kürzungen kommen. Bei beharrlicher Weigerung, eine angebotene Arbeit aufzunehmen, sind seit 2024 auch stärkere Minderungen möglich, die den Regelbedarf für bis zu zwei Monate empfindlich treffen können. Die Kosten der Unterkunft (Miete) sind davon jedoch in der Regel nicht betroffen, um Obdachlosigkeit zu verhindern.
Typische Szenarien aus dem Alltag in Deutschland
Um die Theorie greifbarer zu machen, helfen fiktive, aber realistische Beispiele, wie sich die Systeme in der Praxis überschneiden.
Szenario 1: Der Facharbeiter mit ALG I
Herr Schmidt (48) hat 10 Jahre als Mechatroniker gearbeitet und verdiente zuletzt 2.800 € netto. Er hat keine Kinder. Sein Betrieb muss aus wirtschaftlichen Gründen schließen (betriebsbedingte Kündigung).
Schritte: Herr Schmidt meldet sich sofort nach Erhalt der Kündigung arbeitsuchend und am ersten Tag ohne Job arbeitslos bei der Agentur für Arbeit.
Anspruch: Er erfüllt die Anwartschaftszeit (weit über 12 Monate eingezahlt). Da er unter 50 ist, hat er Anspruch auf die Höchstdauer von 12 Monaten ALG I.
Höhe: Er erhält den Leistungssatz 2 (60 %) seines pauschalierten Nettoeinkommens. Dies entspricht etwa 1.680 € pro Monat.
Szenario 2: Der Übergang von ALG I zu Bürgergeld
Frau Wagner (54) war Angestellte und hat 12 Monate lang ALG I (ca. 1.400 €) bezogen. Sie lebt allein in einer Wohnung, die 550 € Miete kostet. Ihr Anspruch auf ALG I läuft nun aus. Sie hat Ersparnisse von 8.000 €.
Schritte: Noch während des ALG-I-Bezugs muss sie einen Antrag auf Bürgergeld beim Jobcenter stellen.
Anspruch: Ihr ALG I entfällt. Ihr Vermögen (8.000 €) liegt unter der Karenzzeit-Grenze (40.000 €) und auch unter dem regulären Schonvermögen (15.000 €). Es wird nicht angetastet.
Höhe: Das Jobcenter berechnet ihren Bedarf: Regelbedarf (z.B. 563 €) + Miete (550 €) = 1.113 €. Da sie kein anderes Einkommen hat, erhält sie 1.113 € Bürgergeld.
Szenario 3: Die „Aufstockerin“ mit Bürgergeld
Frau Becker ist alleinerziehend mit einem 6-jährigen Kind. Sie arbeitet Teilzeit und verdient 1.300 € netto. Ihre Warmmiete beträgt 700 €.
Schritte: Sie stellt einen Antrag beim Jobcenter, da ihr Einkommen nicht für sie und ihr Kind reicht.
Anspruch: Das Jobcenter berechnet den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft (Frau Becker + Kind). Dieser liegt z.B. bei: Regelbedarf Mutter (563 €) + Regelbedarf Kind (z.B. 357 €) + Mehrbedarf Alleinerziehende + Miete (700 €) = Gesamtbedarf von ca. 1.750 € (fiktiver Wert).
Höhe: Ihr Einkommen (1.300 €) wird auf diesen Bedarf angerechnet, wobei Freibeträge (für Erwerbstätigkeit) berücksichtigt werden. Das Jobcenter zahlt die Differenz als „aufstockendes“ Bürgergeld, um das Existenzminimum der Familie zu sichern.
Das deutsche Sozialsystem ist ein komplexes Gefüge aus Versicherung und Fürsorge. Die klare Trennung zwischen dem Arbeitslosengeld I als erworbener Versicherungsleistung und dem Bürgergeld als steuerfinanzierter Grundsicherung ist der Schlüssel zum Verständnis. Das ALG I sichert den Lebensstandard basierend auf früheren Beiträgen, während das Bürgergeld das Existenzminimum garantiert, wenn eigene Mittel fehlen.
Für Betroffene sind zwei Dinge essenziell: Die Einhaltung von Fristen – insbesondere die sofortige Arbeitsuchend- und Arbeitslosmeldung – und die aktive Mitwirkung. Das Wissen um die Unterschiede zwischen der Agentur für Arbeit (ALG I) und dem Jobcenter (Bürgergeld) sowie das Verständnis von Rechten (z.B. Schonvermögen) und Pflichten (z.B. Mitwirkung) sind die wichtigsten Werkzeuge, um eine Phase der Arbeitslosigkeit finanziell sicher zu überstehen. Es ist eine Absicherung, die Stabilität gibt, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: den erfolgreichen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.



