Dividenden-ETFs vs. Einzelaktien: Welche Strategie ist für deutsche Anleger langfristig sicherer?
Der Artikel vergleicht Dividenden-ETFs und Einzelaktien für die Rente. ETFs sind durch Streuung und 30% Teilfreistellung (Steuervorteil) in Deutschland meist die sicherere Wahl.

Der Traum vom „passiven Einkommen“ ist für viele Menschen in Deutschland ein zentrales Lebensziel. Die Vorstellung, monatlich oder quartalsweise Geld zu erhalten, ohne dafür aktiv arbeiten zu müssen, ist verlockend. Für Anleger, die dieses Ziel verfolgen, sind Dividenden – die Gewinnausschüttungen von Aktiengesellschaften – der klassische Weg dorthin.
Doch sobald die Entscheidung für Dividenden gefallen ist, taucht die nächste große Frage auf: Wie investiert man am besten? Sollte man sein Geld auf einen Dividenden-ETF (Exchange Traded Fund) setzen, der automatisch in Hunderte von ausschüttenden Unternehmen weltweit investiert? Oder ist es klüger, sich selbst ein Portfolio aus vermeintlich sicheren, deutschen „Dividenden-Aristokraten“ wie einer Allianz, BASF oder Munich Re zusammenzustellen?
Beide Wege können zum Ziel führen, doch sie unterscheiden sich fundamental in Bezug auf Risiko, Aufwand und langfristige Sicherheit. Gerade für Anleger, die Vermögen für das Alter aufbauen und schützen wollen, ist die Wahl der richtigen Strategie entscheidend.
Dieser Artikel analysiert beide Ansätze, beleuchtet die spezifischen deutschen Rahmenbedingungen und gibt eine klare Antwort auf die Frage, welche Strategie für den langfristigen und sicheren Vermögensaufbau die überlegene ist.
Grundlagen: Was sind Dividenden, Einzelaktien und ETFs?
Um die Sicherheit beider Strategien bewerten zu können, müssen wir die Bausteine verstehen. Sie bilden die Grundlage für jede Form der Dividendenstrategie.
Die Einzelaktie (Direktinvestment)
Wenn Sie eine Einzelaktie kaufen, erwerben Sie einen direkten Anteil an einem Unternehmen (einer Aktiengesellschaft, AG). Sie werden Miteigentümer. Wenn das Unternehmen einen Gewinn erwirtschaftet, kann die Hauptversammlung beschließen, einen Teil dieses Gewinns an die Aktionäre auszuschütten. Dies ist die Dividende.
Eine „Dividendenaktie“ ist typischerweise ein Unternehmen, das in einer etablierten Branche tätig ist, stabile Gewinne erzielt und eine lange Historie zuverlässiger (und idealerweise steigender) Ausschüttungen vorweisen kann. Unternehmen, die ihre Dividende über viele Jahre hinweg konstant steigern, werden oft als „Dividenden-Aristokraten“ bezeichnet.
Der Dividenden-ETF (Investmentfonds)
Ein ETF ist ein Investmentfonds, der an der Börse gehandelt wird. Ein Dividenden-ETF ist kein Miteigentümer eines Unternehmens, sondern ein „Sondervermögen“, das Hunderte oder Tausende verschiedene Einzelaktien bündelt. Er bildet passiv einen bestimmten Index nach, zum Beispiel den „MSCI World High Dividend Yield“ oder in Deutschland den „DivDAX“.
Die Regeln des Index bestimmen, welche Aktien gekauft werden (z.B. „die 100 Unternehmen mit der höchsten Dividendenrendite weltweit“). Der ETF sammelt alle Dividenden der enthaltenen Unternehmen ein und schüttet sie gebündelt an die ETF-Anleger aus. Dies geschieht typischerweise vierteljährlich oder halbjährlich.
Man unterscheidet hierbei zwischen:
- Ausschüttenden (distributing) ETFs: Sie zahlen die Dividenden direkt als Bargeld auf Ihr Verrechnungskonto aus. Dies ist die Wahl für Anleger, die einen laufenden Geldfluss benötigen.
- Thesaurierenden (accumulating) ETFs: Sie behalten die Dividenden ein und reinvestieren sie sofort automatisch in mehr Fondsanteile. Dies nutzt den Zinseszinseffekt maximal aus und ist ideal für die reine Vermögensaufbauphase.
Warum ist diese Entscheidung in Deutschland so wichtig?
Die Wahl zwischen ETFs und Einzelaktien ist nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern hat in Deutschland handfeste finanzielle und steuerliche Konsequenzen. Sie berührt den Kern der privaten Altersvorsorge.
Die Lücke in der Altersvorsorge (Rentenlücke)
Das deutsche Rentensystem („gesetzliche Rentenversicherung“) steht unter Druck. Der demografische Wandel führt dazu, dass das Rentenniveau sinkt. Für die meisten Angestellten wird die gesetzliche Rente nicht ausreichen, um den gewohnten Lebensstandard im Alter zu halten. Diese „Rentenlücke“ muss privat geschlossen werden. Regelmäßige Dividendenzahlungen sind für viele Ruheständler ein essenzieller Baustein, um diese Lücke zu füllen.
Der steuerliche Unterschied: Ein klarer Vorteil für ETFs
Für deutsche Anleger ist die steuerliche Behandlung von Kapitalerträgen ein entscheidender Faktor. Hier gibt es einen oft übersehenen, aber massiven Unterschied zwischen den beiden Strategien.
Grundlage (für beide gleich): Kapitalerträge (Dividenden und Kursgewinne) werden mit der Abgeltungsteuer von 25% plus Solidaritätszuschlag (und ggf. Kirchensteuer) besteuert. Beide Strategien profitieren vom Sparer-Pauschbetrag (1.000 € für Ledige / 2.000 € für Verheiratete), bis zu dem Erträge steuerfrei bleiben.
Der große Unterschied (Teilfreistellung): Für Aktienfonds (und damit auch für Aktien-ETFs) gilt in Deutschland seit 2018 das Investmentsteuergesetz. Es gewährt eine sogenannte „Teilfreistellung“. Bei Aktien-ETFs (die zu mindestens 51% in Aktien investieren) sind 30% aller Erträge – also sowohl der Ausschüttungen (Dividenden) als auch der Kursgewinne beim Verkauf – steuerfrei.
Dividenden aus Einzelaktien (Direktinvestments) sind hingegen zu 100% steuerpflichtig (sofern sie den Sparer-Pauschbetrag übersteigen). Dieser steuerliche Vorteil macht ETFs in Deutschland auf lange Sicht mathematisch effizienter.
Strategie 1: Der Dividenden-ETF – Sicherheit durch Streuung

Dieser Ansatz wird oft als „passiv“ bezeichnet. Die Kernidee ist, das Risiko so breit wie möglich zu streuen und den eigenen Aufwand zu minimieren.
Der praktische Ansatz
Ein Anleger wählt einen oder zwei global ausgerichtete Dividenden-ETFs. Ein gängiger Ansatz ist die Investition in einen „MSCI World High Dividend Yield“ oder einen „FTSE All-World High Dividend Yield“. Diese ETFs investieren in Hunderte von Unternehmen aus entwickelten Märkten (USA, Europa, Japan, Deutschland etc.).
Das Investment erfolgt oft über einen monatlichen Sparplan („ETF-Sparplan“), den viele deutsche Direktbanken kostenlos oder sehr günstig anbieten. Der Anleger muss sich danach um nichts mehr kümmern, außer die eingehenden Ausschüttungen zu verbuchen.
Das Sicherheitsversprechen
Die Sicherheit dieser Strategie beruht auf einem einzigen Prinzip: Diversifikation. Wenn eines der 500 Unternehmen im ETF in Schieflage gerät und seine Dividende kürzt oder gar insolvent geht (man denke an den Fall Wirecard), ist der Effekt auf das Gesamtportfolio minimal. Der Verlust wird durch die 499 anderen Unternehmen aufgefangen.
Das Risiko eines Totalverlusts ist praktisch ausgeschlossen. Die Sicherheit des *Einkommensstroms* basiert auf dem Durchschnitt Tausender Zahlungen, nicht auf dem Erfolg einzelner Vorstände.
Strategie 2: Einzelaktien – Sicherheit durch Kontrolle und Wissen
Dieser Ansatz ist „aktiv“. Die Kernidee ist, dass der Anleger durch sorgfältige Analyse und Auswahl („Stock Picking“) ein Portfolio zusammenstellt, das einem passiven ETF überlegen ist – sei es bei der Rendite oder der Qualität.
Der praktische Ansatz
Der Anleger agiert wie ein Unternehmer. Er muss Geschäftsberichte lesen, Bilanzen verstehen, Marktanalysen durchführen und Managemententscheidungen bewerten. Das Ziel ist, ein konzentriertes Portfolio von vielleicht 15 bis 30 „Qualitätsunternehmen“ aufzubauen, von deren Zukunftsfähigkeit man zu 100% überzeugt ist.
Der Fokus liegt oft auf „Buy and Hold“ – dem langfristigen Halten von Unternehmen mit stabilem Geschäftsmodell („Burggraben“), geringer Verschuldung und einer Historie steigender Dividenden.
Das Sicherheitsversprechen
Die Sicherheit liegt hier nicht in der Streuung, sondern im *Wissen* des Anlegers. Die These lautet: „Ich kenne meine 20 Unternehmen besser als ein ETF, der blind einem Index folgt.“ Ein ETF kauft vielleicht auch Unternehmen mit hoher Dividendenrendite, die aber in Wahrheit Krisenkandidaten sind (eine „Dividendenfalle“). Der aktive Anleger will diese Fallen durch Analyse vermeiden und nur in grundsolide Firmen investieren.
Die Sicherheit des Einkommensstroms hängt direkt von der Fähigkeit des Anlegers ab, diese 20 Unternehmen korrekt zu bewerten.
Vorteile und Risiken im direkten Vergleich
Welcher Ansatz ist nun langfristig sicherer? Eine ehrliche Analyse muss die Vor- und Nachteile beider Seiten neutral betrachten.
Dividenden-ETFs: Die passive Festung
Vorteile (Sicherheit):
- Maximale Diversifikation: Das Risiko ist auf Hunderte von Unternehmen, Branchen und Länder verteilt. Ein einzelner Unternehmensausfall ist nicht spürbar. Dies ist der größte Sicherheitsfaktor.
- Eliminierung emotionaler Fehler: Ein ETF kennt keine Panik. Er verkauft nicht im Crash und kauft nicht in der Gier. Er folgt stur seinen Regeln. Der Anleger wird vor seinen eigenen, oft teuren Bauchentscheidungen geschützt.
- Minimaler Zeitaufwand: Einmal eingerichtet (z.B. als Sparplan), läuft die Strategie vollautomatisch. Das ist ideal für Menschen, die ihre Zeit nicht mit Bilanzen verbringen wollen.
- Steuervorteil in Deutschland: Die 30%ige Teilfreistellung auf alle Erträge ist ein klarer, gesetzlich verankerter Vorteil, der die Nettorendite nach Steuern erhöht.
Risiken (Nachteile):
- Qualitätsverwässerung: Ein ETF kauft nach starren Regeln. Wenn ein Unternehmen die Kriterien (z.B. hohe Dividendenrendite) erfüllt, wird es gekauft, auch wenn die Bilanz schwach ist. Man kauft „den Durchschnitt“ und damit auch mittelmäßige Unternehmen.
- Keine Kontrolle: Sie können nicht verhindern, dass der ETF in Branchen investiert, die Sie vielleicht ethisch ablehnen (z.B. Rüstung, Tabak), es sei denn, Sie wählen einen speziellen ESG/SRI-ETF.
- Durchschnittliche Rendite: Sie werden mit einem ETF niemals „den Markt schlagen“. Sie erhalten die durchschnittliche Dividendenrendite des Marktes, abzüglich der (sehr geringen) Kosten.
Einzelaktien: Die unternehmerische Wette
Vorteile (Potenzial):
- Überrendite möglich: Ein fähiger Anleger, der die richtigen Unternehmen auswählt, kann eine deutlich höhere Dividendenrendite und ein höheres Dividendenwachstum erzielen als der Marktdurchschnitt.
- Volle Kontrolle: Sie besitzen nur, was Sie verstehen und gutheißen. Sie können Ihr Portfolio exakt nach Ihren moralischen und wirtschaftlichen Überzeugungen gestalten.
- Keine laufenden Kosten: Abgesehen von den Transaktionskosten beim Kauf/Verkauf fallen keine jährlichen Verwaltungsgebühren (TER) wie bei einem ETF an.
- Emotionaler Bezug: Ein direkter Anteil an Siemens oder Mercedes-Benz zu halten, schafft für viele deutsche Anleger eine stärkere Bindung und Motivation als ein anonymer Fondsanteil.
Risiken (Nachteile):
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- Das Klumpenrisiko: Dies ist das mit Abstand größte Risiko und der zentrale Punkt beim Thema Sicherheit. Wenn ein Anleger nur 15 Aktien hält, wiegt jede einzelne Aktie schwer. Fällt ein Unternehmen aus (z.B. durch einen Bilanzskandal) oder kürzt die Dividende (wie Bayer oder deutsche Autobauer in der Vergangenheit), bricht sofort ein signifikanter Teil (z.B. 6-7%) des Kapitals und des Einkommens weg.
- Hoher Zeit- und Wissensaufwand: Eine professionelle Aktienanalyse ist ein Vollzeitjob. Für Privatanleger ist es extrem schwer, einen dauerhaften Informationsvorsprung zu halten.
- Emotionale Fallen: Der größte Feind des Einzelaktien-Anlegers ist er selbst. Man hält aus Loyalität an Verlierern fest („Verlustaversion“) oder verkauft Gewinner aus Panik zu früh.
- Steuernachteil in Deutschland: Die Dividenden sind zu 100% steuerpflichtig (nach Freibetrag), die 30% Teilfreistellung der ETFs entfällt.
Praxisbeispiele: Zwei Anleger auf dem Weg zur Rente
Szenario 1: Der passive Sicherheits-Sparer
Klaus (50), Angestellter aus Nordrhein-Westfalen, möchte seine Rente aufbessern, hat aber weder Zeit noch Lust, sich täglich mit der Börse zu befassen. Sicherheit und Einfachheit sind ihm am wichtigsten.
Seine Strategie: Er richtet einen monatlichen Sparplan über 300 € auf einen ausschüttenden „FTSE All-World High Dividend Yield“-ETF ein. Zusätzlich legt er eine Einmalsumme von 20.000 € an.
Sein Ergebnis: Sein Geld ist sofort in über 1.500 Unternehmen weltweit investiert. Er erhält vierteljährlich eine Ausschüttung. Wenn die Dividende eines deutschen Autokonzerns gekürzt wird, merkt er dies kaum, da es durch steigende Dividenden eines US-Pharmaunternehmens ausgeglichen wird. Sein Einkommensstrom ist hochgradig stabil und er profitiert voll von der 30% Teilfreistellung. Sein Risiko ist minimal.
Szenario 2: Die aktive Dividenden-Jägerin
Monika (45), Ingenieurin aus Bayern, interessiert sich brennend für Wirtschaft. Sie liest gerne Geschäftsberichte und traut sich zu, Unternehmen besser zu bewerten als der Markt.
Ihre Strategie: Sie analysiert den Markt und kauft 20 Einzelaktien, von denen sie überzeugt ist (z.B. 8 aus Deutschland, 8 aus den USA, 4 aus der Schweiz). Sie meidet bewusst Unternehmen, die ihr zu riskant erscheinen, auch wenn sie im ETF enthalten wären.
Ihr Ergebnis: In den ersten fünf Jahren läuft es hervorragend; ihre Titelauswahl schlägt den ETF. Im sechsten Jahr gerät eines ihrer deutschen Unternehmen in einen Skandal, die Aktie fällt um 60% und die Dividende wird gestrichen. Gleichzeitig kürzt ein US-Unternehmen die Dividende. Ihr Gesamteinkommen sinkt spürbar. Ihre „Sicherheit“ hängt zu 100% von ihrer Trefferquote ab. Sie trägt das volle unternehmerische Risiko.
Die Frage nach der langfristig *sichereren* Strategie hat für deutsche Privatanleger eine eindeutige Antwort. Während die Investition in Einzelaktien das *Potenzial* für höhere Erträge bietet, ist sie untrennbar mit einem massiv höheren Risiko verbunden: dem Klumpenrisiko und dem Risiko der eigenen Fehleinschätzung. Sicherheit bedeutet beim Investieren nicht, die höchsten Gewinne zu erzielen, sondern den Totalverlust zu vermeiden und einen stabilen Ertrag zu sichern.
Genau das leistet der Dividenden-ETF durch maximale Diversifikation. Er eliminiert das Risiko eines Einzelausfalls und schützt den Anleger vor emotionalen Fehlentscheidungen. Für die überwältigende Mehrheit der Anleger, deren Ziel eine zuverlässige und stressfreie Ergänzung zur Rente ist, ist der Dividenden-ETF die rational überlegene und deutlich sicherere Wahl. Hinzu kommt der klare, mathematische Vorteil der 30-prozentigen Teilfreistellung in Deutschland.
Der Aufbau eines Einzelaktien-Portfolios ist nicht „Investieren“ im passiven Sinne, sondern „unternehmerisches Handeln“. Es erfordert Zeit, Leidenschaft und eine hohe Risikotoleranz. Wer diese Eigenschaften nicht mitbringt, findet in ETFs die robustere und langfristig sicherere Grundlage für den Vermögensaufbau.

