Pflegegeld und Pflegeleistungen: Welche Unterstützung erhalten pflegende Angehörige?
Pflegende Angehörige erhalten nicht nur Pflegegeld. Die Pflegekasse (SGB XI) sichert sie sozial ab, zahlt Rentenbeiträge und finanziert wichtige Entlastungen wie die Verhinderungspflege.

Viele Menschen in Deutschland stehen früher oder später vor einer emotionalen und organisatorischen Herausforderung: Ein naher Angehöriger, sei es ein Elternteil, der Partner oder die Partnerin, wird pflegebedürftig. Die Entscheidung, die Pflege selbst zu übernehmen, ist oft ein Akt der Zuneigung, bringt jedoch erhebliche finanzielle und persönliche Belastungen mit sich.
Angesichts des demografischen Wandels wächst die Zahl der Pflegebedürftigen stetig. Das deutsche Sozialsystem ist stark darauf angewiesen, dass Familien diese Aufgabe übernehmen. Man spricht oft von „Deutschlands größtem Pflegedienst“ – den pflegenden Angehörigen.
Doch diese Leistung wird nicht nur ideell anerkannt. Die deutsche Pflegeversicherung (gesetzlich verankert im Elften Buch Sozialgesetzbuch, SGB XI) sieht ein gestaffeltes System von Leistungen vor, um die Pflege zu Hause zu unterstützen. Es geht dabei um weit mehr als nur das „Pflegegeld“.
Für Betroffene ist es entscheidend, die verschiedenen Bausteine der Unterstützung zu kennen. Es geht um direkte finanzielle Hilfe, um Entlastung im Alltag und, was oft übersehen wird, um die soziale Absicherung der Pflegeperson selbst, etwa für die eigene Rente. Dieser Artikel schlüsselt auf, welche Hilfen Ihnen zustehen und wie Sie diese in der Praxis nutzen.
Die Grundlagen: Pflegegrad, Pflegegeld und Pflegesachleistungen
Bevor pflegende Angehörige Unterstützung erhalten können, muss die Pflegebedürftigkeit der zu pflegenden Person offiziell festgestellt werden. Dies ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Systems.
Der Pflegegrad als Voraussetzung
Der Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hängt nicht von einer Diagnose ab, sondern vom Grad der Unselbstständigkeit. Dieser wird in fünf Pflegegraden (PG 1 bis PG 5) ausgedrückt.
Um einen Pflegegrad zu erhalten, muss ein Antrag bei der Pflegekasse des Betroffenen gestellt werden. Die Pflegekasse ist in der Regel direkt an die Krankenkasse angegliedert. Daraufhin begutachtet der „Medizinische Dienst“ (MD) die Situation vor Ort und prüft die Selbstständigkeit in sechs Lebensbereichen (z.B. Mobilität, kognitive Fähigkeiten, Selbstversorgung).
Wichtig zu wissen: Nennenswerte finanzielle Leistungen für die häusliche Pflege, insbesondere das Pflegegeld, gibt es erst ab Pflegegrad 2.
Der Kernunterschied: Pflegegeld vs. Pflegesachleistung
Wird Pflegegrad 2 oder höher bewilligt, haben Pflegebedürftige die Wahl zwischen zwei Hauptleistungsarten für die häusliche Pflege:
1. Das Pflegegeld
Beim Pflegegeld überweist die Pflegekasse monatlich einen festen Betrag direkt auf das Konto des Pflegebedürftigen. Dieser Betrag ist zur freien Verfügung, um die Pflege selbst zu organisieren. Der Pflegebedürftige kann (und soll) dieses Geld als finanzielle Anerkennung an die pflegenden Angehörigen weitergeben.
2. Die Pflegesachleistungen
Hierbei handelt es sich um ein Budget, das für professionelle Hilfe durch einen ambulanten Pflegedienst vorgesehen ist. Der Pflegedienst erbringt Dienstleistungen (z.B. Körperpflege, Hilfe beim Anziehen) und rechnet diese direkt mit der Pflegekasse ab. Das Geld fließt also nicht an den Pflegebedürftigen.
Die Kombinationsleistung
Viele Familien in Deutschland nutzen eine Mischform. Wenn das Budget für die Pflegesachleistungen (also den Pflegedienst) nicht voll ausgeschöpft wird, kann der verbleibende Anteil prozentual als Pflegegeld ausgezahlt werden. Dies ist oft sinnvoll, wenn ein Pflegedienst morgens hilft und der Angehörige den Rest des Tages abdeckt.
Warum ist diese Unterstützung in Deutschland so wichtig?
Das deutsche Pflegesystem folgt dem Grundsatz „ambulant vor stationär“. Der Gesetzgeber hat ein starkes Interesse daran, die Pflege in den eigenen vier Wänden zu fördern. Dies ist nicht nur meist der Wunsch der Betroffenen, sondern entlastet auch die Sozialkassen erheblich, da ein Platz im Pflegeheim deutlich teurer ist.
Ohne die Millionen pflegenden Angehörigen wäre das System nicht funktionsfähig. Die Unterstützung zielt daher auf zwei Bereiche ab:
- Die Finanzierbarkeit der Pflege sicherzustellen (durch Pflegegeld).
- Die Pflegeperson vor dem finanziellen Ruin und vor Überlastung zu schützen (durch soziale Absicherung und Entlastungsleistungen).
Viele Angehörige, oft Frauen, reduzieren ihre Arbeitszeit drastisch oder geben den Beruf ganz auf. Dies führt zu direkten Einkommenseinbußen und, noch gravierender, zu einer erheblichen Lücke in der eigenen Altersvorsorge. Die Pflegeversicherung versucht, genau diese Lücke abzufedern.
Strategien und praktische Schritte: Mehr als nur Pflegegeld

Pflegende Angehörige fokussieren sich oft nur auf das monatliche Pflegegeld. Doch die wertvollste Unterstützung liegt oft in den flankierenden Maßnahmen, die Entlastung und soziale Sicherheit bieten.
H2: Die soziale Absicherung der Pflegeperson
Dies ist vielleicht der wichtigste, aber am wenigsten bekannte Vorteil für pflegende Angehörige. Wenn Sie eine oder mehrere Personen pflegen, übernimmt die Pflegekasse unter bestimmten Voraussetzungen die Beiträge für Ihre soziale Sicherung.
1. Beiträge zur Rentenversicherung
Die Pflegekasse zahlt für Sie Beiträge in die gesetzliche Rentenkasse ein. Dies erhöht Ihre eigene zukünftige Rente. Voraussetzungen sind:
- Sie pflegen eine Person mit mindestens Pflegegrad 2.
- Die Pflege dauert mindestens 10 Stunden pro Woche, verteilt auf mindestens zwei Tage.
- Sie üben selbst keine Erwerbstätigkeit von mehr als 30 Stunden pro Woche aus.
Die Höhe der Beiträge, die die Kasse zahlt, richtet sich nach dem Pflegegrad des Gepflegten. Je höher der Pflegegrad, desto höher die Einzahlungen in Ihre Rentenkasse.
2. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
Wenn Sie Ihren Job aufgeben, um zu pflegen, zahlt die Pflegekasse unter Umständen auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weiter. Sie erwerben sich dadurch einen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, falls die Pflegesituation endet und Sie nicht sofort einen neuen Job finden.
3. Gesetzliche Unfallversicherung
Pflegende Angehörige sind während der Pflegetätigkeit automatisch und beitragsfrei gesetzlich unfallversichert. Dies deckt Unfälle ab, die im direkten Zusammenhang mit der Pflege stehen (z.B. ein Sturz beim Heben des Pflegebedürftigen).
H2: Finanzielle Entlastung bei Abwesenheit: Verhinderungs- und Kurzzeitpflege
Niemand kann 365 Tage im Jahr pflegen. Pflegende Angehörige brauchen Pausen, werden selbst krank oder möchten in den Urlaub fahren. Dafür gibt es zwei spezielle „Töpfe“.
Die Verhinderungspflege
Kann die Hauptpflegeperson die Pflege vorübergehend nicht durchführen, zahlt die Pflegekasse für eine Ersatzpflege (z.B. einen Pflegedienst oder eine andere Privatperson). Pro Kalenderjahr steht hierfür ein Budget zur Verfügung (aktuell 1.612 Euro), das für bis zu sechs Wochen genutzt werden kann. Voraussetzung ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen bereits seit sechs Monaten pflegt.
Die Kurzzeitpflege
Wird die Pflege zu Hause für eine Zeit unmöglich, etwa nach einem Krankenhausaufenthalt des Pflegebedürftigen oder zur Entlastung der Familie, kann der Betroffene vorübergehend in einer stationären Einrichtung (Pflegeheim) untergebracht werden. Die Pflegekasse übernimmt hierfür ebenfalls einen Großteil der Kosten (aktuell 1.774 Euro für bis zu acht Wochen im Jahr).
Tipp: Beide Budgets können teilweise miteinander kombiniert werden, um die Entlastungsmöglichkeiten flexibler zu gestalten.
H2: Hilfen im Alltag: Der Entlastungsbetrag und Pflegehilfsmittel
1. Der Entlastungsbetrag (125 Euro)
Jeder Pflegebedürftige ab Pflegegrad 1 hat Anspruch auf einen monatlichen Entlastungsbetrag von 125 Euro. Dieses Geld ist zweckgebunden. Es soll für Angebote genutzt werden, die den Pflegebedürftigen betreuen (z.B. eine Betreuungsgruppe für Demenzkranke) oder die Angehörigen im Alltag direkt entlasten (z.B. eine anerkannte Haushaltshilfe).
2. Pflegehilfsmittel (40 Euro Pauschale)
Für Verbrauchsmaterialien, die bei der täglichen Pflege benötigt werden, steht ein monatliches Budget von bis zu 40 Euro zur Verfügung. Dazu gehören Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe oder Bettschutzeinlagen. Diese können oft unkompliziert über Apotheken oder Sanitätshäuser als „Pflegebox“ bezogen werden.
H2: Zuschüsse für den Wohnraum
Oft machen erst bauliche Veränderungen die Pflege zu Hause möglich. Die Pflegekasse bezuschusst Maßnahmen zur Wohnraumanpassung mit bis zu 4.000 Euro pro Maßnahme. Klassische Beispiele sind der barrierefreie Umbau des Badezimmers (bodengleiche Dusche) oder der Einbau eines Treppenlifts.
Vorteile und Risiken der häuslichen Pflege
Die Entscheidung für die häusliche Pflege bietet emotionale Vorteile, birgt aber auch erhebliche finanzielle Risiken, wenn die Unterstützungsleistungen nicht genutzt werden.
Vorteile
- Vertraute Umgebung: Der Pflegebedürftige kann im eigenen Zuhause bleiben, was sich oft positiv auf die Lebensqualität und den Gesundheitszustand auswirkt.
- Finanzielle Anerkennung: Das Pflegegeld dient als materielle Wertschätzung der aufopferungsvollen Leistung.
- Soziale Absicherung: Wie beschrieben, sorgt die Pflegekasse für die Rente und Absicherung der Pflegeperson. Dies ist ein entscheidender Vorteil gegenüber einer reinen „Privatleistung“.
- Flexibilität: Die Familie kann die Pflege individueller gestalten als es in einer Einrichtung möglich wäre.
Risiken und Herausforderungen
- Finanzielle Einbußen: Das Pflegegeld ist in fast keinem Fall ein Ersatz für ein volles Erwerbseinkommen. Es ist eine „Anerkennung“, kein Gehalt.
- Gefahr der Altersarmut: Wer den Job kündigt und die Anrechnung der Pflegezeiten bei der Rentenkasse nicht beantragt (oder die Voraussetzungen nicht erfüllt), steuert auf die eigene Altersarmut zu.
- Körperliche und psychische Belastung: Pflege ist ein 24-Stunden-Job und führt oft zu Burnout. Die Nicht-Inanspruchnahme von Entlastungsleistungen (Verhinderungspflege) ist ein häufiger Fehler.
- Bürokratie: Das System ist komplex. Anträge müssen gestellt, Fristen eingehalten und Widersprüche (z.B. bei Ablehnung eines Pflegegrads) eingelegt werden.
Praxisbeispiele: So greifen die Leistungen ineinander
Drei Szenarien verdeutlichen, wie die Unterstützung für pflegende Angehörige in der Realität aussehen kann.
Szenario 1: Die Tochter pflegt die Mutter (Pflegegrad 3)
Frau Müller (80, PG 3) lebt bei ihrer Tochter (55). Die Tochter hat ihre Stelle von Vollzeit auf 20 Stunden pro Woche reduziert, um die Pflege zu übernehmen.
Leistungen:
1. Pflegegeld: Frau Müller erhält das Pflegegeld für PG 3 (aktuell 573 Euro) und gibt es an ihre Tochter weiter.
2. Rentenbeiträge: Da die Tochter weniger als 30 Stunden arbeitet und die Pflege (PG 3) mehr als 10 Stunden erfordert, zahlt die Pflegekasse der Mutter die Rentenbeiträge für die Tochter.
3. Pflegehilfsmittel: Die Tochter nutzt die 40-Euro-Pauschale für Handschuhe und Desinfektionsmittel.
Szenario 2: Der Ehemann pflegt seine Frau (Pflegegrad 5)
Herr Schmidt (78) pflegt seine Frau (76, PG 5) zu Hause. Die Pflege ist extrem aufwändig. Herr Schmidt ist selbst Rentner.
Leistungen:
1. Pflegegeld: Herr Schmidt erhält das Pflegegeld für PG 5 (aktuell 947 Euro) zur Organisation der Pflege.
2. Rentenbeiträge: Obwohl Herr Schmidt selbst Rentner ist, zahlt die Pflegekasse weiterhin Beiträge in sein Rentenkonto ein. Dies erhöht seine laufende Rente leicht (durch Rentenanpassungen).
Entlastung:
3. Verhinderungspflege: Zweimal im Jahr fährt Herr Schmidt für je eine Woche zu seinen Enkeln. In dieser Zeit bucht er einen ambulanten Dienst, der die Pflege intensiviert. Die Kosten hierfür werden über das Budget der Verhinderungspflege abgerechnet.
Szenario 3: Der Sohn organisiert die Pflege für den Vater (Pflegegrad 2)
Herr Wagner (60) ist voll berufstätig. Sein Vater (85, PG 2) lebt allein, benötigt aber Unterstützung im Haushalt und bei der Körperpflege.
Leistungen:
1. Kombinationsleistung: Morgens kommt ein Pflegedienst (Pflegesachleistung). Den Rest organisiert Herr Wagner (Besuche, Einkäufe). Sie nutzen 70% der Sachleistungen, daher erhält der Vater zusätzlich 30% des Pflegegeldes (PG 2).
2. Entlastungsbetrag: Der Vater nutzt die 125 Euro, um eine anerkannte Nachbarschaftshilfe zu bezahlen, die einmal pro Woche die Wohnung reinigt.
3. Wohnraumanpassung: Herr Wagner beantragt den 4.000-Euro-Zuschuss für den Einbau einer ebenerdigen Dusche, um die Sturzgefahr zu reduzieren.
Die Pflege eines Angehörigen ist eine der größten privaten Herausforderungen, die das Leben bereithält. Es ist ein Marathon, kein Sprint. Das deutsche Pflegesystem bietet ein dichtes Netz an Unterstützung, das jedoch aktiv genutzt werden muss.
Für pflegende Angehörige ist es überlebenswichtig, über das reine Pflegegeld hinauszudenken. Die wichtigste Botschaft ist: Sichern Sie sich selbst ab. Nutzen Sie die Einzahlungen in Ihre Rentenkasse und nehmen Sie die Entlastungsangebote wie die Verhinderungspflege in Anspruch.
Nur wer auf die eigene finanzielle und körperliche Gesundheit achtet, kann langfristig die Kraft aufbringen, einem geliebten Menschen ein würdiges Leben im eigenen Zuhause zu ermöglichen. Informieren Sie sich frühzeitig bei der Pflegekasse oder bei unabhängigen Pflegestützpunkten, um alle Ihnen zustehenden Leistungen voll auszuschöpfen.



